Dekanat Wetterau

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          Anregung zur Notengebung

          Johannes Hoeltz, Schulpfarrer an den Beruflichen Schulen am Gradierwerk in Bad Nauheim, beschäftigt sich in seinem Impuls mit dem Thema Notengebung - in der Schule wie in seinem eigenen Leben.

          RachJohannes Hoeltz, Schulpfarrer

          „Ac-Cent-Tchu-Ate the positive - eliminate the negative“ – vielleicht kennen Sie das Lied von Bing Crosby. Gute Laune Musik aus den 40er Jahren. Zu Deutsch etwa: „Ak-zen-tu-ie-re das Positive, eliminiere das Negative.“ Die Botschaft ist klar, aber es ist leichter gesagt als getan. Das merke ich in meinem Arbeitsumfeld. Ich bin Schulpfarrer an den Beruflichen Schulen am Gradierwerk in Bad Nauheim. In diesen Tagen steht das Notengeben und Notenbesprechen an und dann laufen die Zeugnisdrucker auf Hochtouren. In Coronazeiten, nach einem Halbjahr überwiegend im Distanzunterricht ist das diesmal besonders schwierig und anstrengend.

          Im Lehrerzimmer hat eine Kollegin von ihrer Lösung für dieses Jahr erzählt: „Ich habe einfach die ‚5‘ und die ‚6‘ abgeklebt und dann habe ich die Noten gewürfelt. Die Schülerinnen waren zufrieden, sogar der, der eine ‚4‘ bekam.“ Ich fand das sofort grandios! Allerdings musste ich im Nachgespräch feststellen, dass das nur ein Scherz gewesen war, ein Gedankenspiel, das sie mit ihren Schülerinnen und Schülern angestellt hatte. Denn Notengeben gehört nun einmal zum System Schule dazu.

          Bewerten, beurteilen – wie kann man das machen? Als ich das erste Mal den Schülerinnen und Schülern Texte zurückgab, waren sie irritiert: „Warum ist alles rot angestrichen und ich bekomme trotzdem eine ‚1‘?“ Mittlerweile erkläre ich jedes Mal im Voraus, dass ich die Schülertexte so lese wie andere Texte auch: das, was mir bemerkenswert, interessant, überraschend, außergewöhnlich erscheint, unterstreiche ich. Ich hebe es hervor. Darauf will ich Bezug nehmen, wenn ich die Arbeiten zurückgebe.

          Trotzdem: nach über zehnjähriger schulischer Sozialisation ist für die Schülerinnen klar: Untergestrichen bedeutet: ‚falsch‘, ‚schlecht‘. Das hält sich hartnäckig, obwohl ich zur ‚positiveren‘ Farbe Grün gewechselt bin. Warum ist das eigentlich so? Warum heben wir nicht das Richtige hervor? Warum ‚high lighten‘ wir nicht das Gute? Warum lenken wir nicht die Aufmerksamkeit auf das Gelingende? In der Schule, beim Notengeben, aber auch sonst bei unserem Urteilen, Bewerten und manchmal auch Verurteilen. Also: „Ac-Cent-Tchu-Ate the Positive - eliminate the negative“.

          Wenn ich das Thema ‚Tod‘ durchnehme, lerne ich von den muslimen Schülerinnen und Schülern, wie wichtig die Vorstellung des Gerichts im Islam ist. Am Ende unseres Lebens erwartet uns Gott also als eine Art übermächtiger Lehrer und gibt Noten auf unser Leben. Im Christentum gab es die Vorstellung des Gerichts früher auch. Sie ist ein bisschen aus der Mode gekommen.

          Wenn ich heute Predigten höre, dann kommt es mir oft so vor, als ob Gott alle Seiten bis auf die ‚1‘ abklebt und dann unsere Lebensnote würfelt. Diese Notengebung erinnert mich an meinen Musiklehrer aus der 7. Klasse. Ohne den Kopf zu heben, verlas er die Noten und so bekam ein Schüler, der zu Beginn des Schuljahres die Schule gewechselt hatte, eine ‚3‘. Was pädagogisch sicherlich stimmig war: denn dieser Schüler hatte definitiv nicht gestört.

          Also, ich würde mir keine ‚1‘ für mein Leben geben. Bei einer sehr wohlmeinenden Lehrerin könnte ich vielleicht noch auf eine ‚2‘ hoffen. Bei einer ‚1‘ hätte ich den Eindruck, dass der alte Herr, gleich jenem Musiklehrer, mein Leben gar nicht so recht wahrgenommen hätte.

          Nein, da haben die Muslimen recht: Gott schaut genau hin. Und: er beurteilt unser Leben. Das ist der Sinn der Rede vom Gericht. Ob Gott Noten gibt, also ‚1er‘, ‚2er‘ oder auch ‚6er‘ verteilt, weiß ich nicht. Aber: ich denke in der Tat, dass Gott sein Augenmerk nicht auf das Schlechte in meinem Leben legen wird. Er wird nicht das Misslungene in den Vordergrund stellen. Gott wird das Gute in meinem Leben hervorheben. Vielleicht sogar das, dessen ich mir selber nicht bewusst bin. Ja, vielleicht werden wir in dieser letzten „Notengebung“ in unserem Leben sogar positiv überrascht. Vor allem aber - und das ist der Clou! – die Noten, die Gott uns vielleicht geben wird, sind nicht versetzungsrelevant. Wie schön! Und wer weiß, vielleicht ertönen, wenn meine Lebensbilanz gezogen wird, im Hintergrund jazzige Klänge von Bing Cosby. Muss ja nicht immer Bach oder Mozart sein.

          Noch ein Hinweis: Ehe jetzt Einwände von Lehrerinnen und Lehrern kommen, etwa im Ton: „Nett geschrieben von dem Schulpfarrer, aber der hat leicht reden mit seinem komischen Fach: soll er doch mal ein richtiges Fach unterrichten oder einen Satz Mathe-Klausuren korrigieren, dann weiß er, dass das rote Tintenfass auf dem Lehrerpult immer gut gefüllt sein muss!“, klar: die Kollegen haben recht! Vielleicht ist es aber doch eine Anregung, neben das rote auch noch ein grünes Tintenfass zu stellen: „Ac-Cent-Tchu-Ate …“ Und diese Anregung gilt natürlich nicht nur für Lehrer und Lehrerinnen und die Schule, sondern für uns alle. Wenn Gott lieber zum grünen als zum roten Stift greift, dann sollten wir das unseren Mitmenschen gegenüber auch so machen. Und im Urteilen über unser eigenes Leben natürlich auch.

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