Dekanat Wetterau

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          Für eine Kirche der sozialen Nähe

          Interview mit Dekan Guth zu Gottesdienst und Kirche in Corona-Zeiten

          Sind Sie erleichtert, dass jetzt wieder Gottesdienste möglich sind?Guth: Sie meinen „öffentliche Gottesdienste“ in den Kirchen! Wir haben die ganze Zeit Gottesdienste angeboten und gefeiert. Bloß in anderen Formen.  Internet-Gottesdienst, live oder als Videoproduktion, Podcasts, Predigten zum Mitnehmen an Zäunen vor Pfarrhäusern, Hörpredigten. In den Gemeinden gab es – und gibt es – eine beeindruckende Kreativität. Wenn nun öffentliche Gottesdienste in Kirche wieder losgehen, dann unter strikten Auflagen. Maskenpflicht, Desinfektionsmittel, kein Gesang, Abstand zum Platznachbar usw. Deshalb verstehe ich, wenn Kirchengemeinden nicht sofort wieder zu öffentlichen Gottesdiensten einladen.  Ich habe selbst   ein wenig Sorge, dass das nur wenig mit dem zu tun hat, was wir bisher als Gottesdienst gefeiert haben. Und dass wir die vielen neuen Formen nun nicht weiterentwickeln und ausprobieren, sondern in das vermeintlich Bekannte zurückfallen. Andererseits verstehe ich sehr wohl, dass Menschen das Bedürfnis haben, wieder real mit anderen zusammen zu kommen. Ich erleben uns alle auf einer Suche nach Normalität. Dass gilt wohl auch für den Gottesdienst.

          Im Zuge der Coronakrise wurden „systemrelevante Berufe“ definiert. Wie systemrelevant sind Pfarrer*innen?
          Guth: Im Blick auf die Definition der Politik, sind wir´s nicht. Wenn mir die Pfarrerinnen und Pfarrer aber von den wirklich vielen seelsorgerlichen Anfragen und Begegnungen der letzten Wochen erzählen, dann zeigt das, wie wichtig es ist, dass Menschen mit ihren Ängsten, aber auch den realen Sorgen um die Existenz wissen, wohin sie sich wenden können. Dann ist es mir egal, ob wir offiziell dazu gezählt werden oder nicht.

          Der Gottesdienstbesuch ist vielerorts mager. Schlechter als die Zugriffszahlen auf die Video-Gottesdienste, die in den letzten Wochen angeboten wurden. Sind Online-Gottesdienste die Zukunft?
          Die Klick-Zahlen sind tatsächlich im Vergleich zu den Zahlen aus der analogen Welt beachtlich. Aber wir dürfen nun nicht den Fehler machen, das eine gegen das andere auszuspielen. Digitale Formen und Angebote sind ganz sicher Teil unserer Zukunft. Dahinter kommen wir nicht mehr zurück. Insofern haben wir in den zurückliegenden Wochen an einigen Orten Entwicklungsschritte gesehen, die ich vor Corona für unmöglich gehalten hätte. Mich freut das!

          Werden die Pfarrerinnen und Pfarrer wieder Gottesdienste in den Alten- und Pflegeheimen anbieten?
          Sie meinen unter dem Stichwort „analog“? Das ist ja eine Frage der Schutzkonzepte in den Häusern. Das ist mit Corona ein ganz sensibles und gefährdetes Arbeitsfeld geworden. Ich bin erst einmal froh, dass unsere Pfarrerinnen und Pfarrer wieder als Seelsorger zu den Menschen in die Häuser dürfen. Da war die Not in den letzten Wochen groß – bei den Bewohnern und dem Pflegepersonal! Totale Schließung, kein Besuchskontakt, nur Telefon oder Ansprache vom Hof aus in die Zimmer. Wir müssen nun behutsam auf die Menschen in den Häusern zugehen und miteinander sehr achtsam sein. Aber wir sind wieder bei ihnen. Das ist gut.

          Wir haben in den letzten Wochen eine große Solidarität erlebt. Welche Rolle kann Kirche spielen, wenn diese Solidarität angesichts wirtschaftlicher Schwierigkeiten brüchig wird?
          Guth: Als Kirchen haben wir schon in den 90-er Jahren eine Schrift rausgegeben unter dem Titel „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“. Die wird plötzlich total aktuell. Die beiden Begriffe geben den Rahmen, über den wir uns als Gesellschaft verständigen müssen. Die letzten Wochen haben doch weltweit gezeigt, wovon wir leben. Egomanische Politiker haben die Menschen in ihren Ländern massiv gefährdet. Zum Teil mit verheerenden Folgen. Privatisierung und Fragmentierung von Gesundheitssystemen wie in England sind unmittelbare Folgen eines völlig enthemmten Neoliberalismus. Wir werden über den alten Begriff der Daseinsvorsorge neu ins Gespräch kommen müssen. Gesundheit, Soziales, Kultur, Gesundheit, Bildung – das alles sind weder Anhängsel des Sozialstaates noch Felder für Profit. Hier brauchen wir einen neuen Konsens und solidarische Finanzierungen. Und wir müssen dafür sorgen, dass sie allen zugänglich sind. Stichwort Gerechtigkeit. Wenn wir nun auf eine Rezession zusteuern, dann stellt uns das umso mehr vor die Frage von Solidarität und Gerechtigkeit. Mich irritiert, dass schon jetzt wieder jene Branchen, die in den letzten Jahren Systemrelevanz behauptet haben, die Autobauer zum Beispiel, Staatshilfen fordern. Dabei erleben wir gerade Schulkinder, die beim Homeschooling keinen vernünftigen Internetzugang haben und Lehrer, die tageweise nicht auf einen völlig überlasteten Bildungsserver des Landes zugreifen können.

          Hat die Kirche eine besondere Rolle in der Zeit „nach Corona“?
          Nein. Ich sage außerdem: es gibt keine Zeit „nach Corona“. Wer so denkt und redet, will gerne möglichst da weitermachen, wo wir „vor Corona“ waren. Das geht aber nicht. Und ich will das auch gar nicht. Nicht in der Kirche und auch nicht für unsere Gesellschaft. Es wird künftig nur eine Zeit „mit Corona“ geben. Und die müssen wir alle beginnen zu denken und zu gestalten! Als Kirchen sind wir Teil unserer Gesellschaft. Wir haben da einen Auftrag, der sich eben nicht bloß auf das individuelle Seelenheil beschränkt. Es ist doch erschreckend, dass wir im Zuge vermeintlicher Normalisierung sofort wieder die alten antidemokratische Kräfte aufstehen sehen. Dass die, die „vor Corona“ Angst und Hass geschürt hatten, nun sofort wieder auf dem Plan sind, und den Staat und Politiker verächtlich machen. Das muss aufhören.
          75 Jahre nach Kriegsende dürfen wir hier nicht nachlässig werden. Wenn ich mir was wünschen dürfte, dann dass wir auch hier nicht da weiter machen, wo wir vor Corona waren. Als Kirchen bringen wir uns in die Debatten und die Auseinandersetzung ein - mit unseren Erfahrungen, mit unseren Gedanken, mit unseren Visionen. Weil es um Leben geht!

          Hat die Pandemie Auswirkungen auf den Reformprozess im Dekanat, etwa bei der Reduzierung von Pfarrstellen?
          Die Anpassung der Pfarrstellung geschieht analog zur Mitgliederentwicklung. Da ändert sich nichts. Aber wenn wir jetzt als Gemeinden in Nachbarschaftsräumen miteinander nachdenken, wie Kirche sich weiterentwickelt, dann haben wir heute Farbausdrucke, wo wir vorher Schwarz-Weiß-Zeichnungen hatten. Will sagen: Einiges von dem, was wir uns bisher vorgestellt hatten, ist heute Teil unserer Wirklichkeit: neue Formen der Verkündigung, andere Beziehungen, andere Kommunikationswege. Wir haben seit Corona auch die Videokonferenzen entdeckt. (lacht)

          Ändert die Corona-Krise die Kirche?
          Das muss sie doch. Wenn sich Gesellschaft „mit Corona“ ändert, dann doch auch wir. Eine kluge Pfarrerin im Dekanat hat das im Gespräch mit mir mit einer Frage formuliert: „Bleiben wir Kirche der Veranstaltungen oder werden wir Kirche der sozialen Nähe?!“ Besser als mit dieser Frage kann man die Erfahrungen der zurückliegenden Wochen, die Herausforderungen der Zukunft und unseren Auftrag darin gar nicht beschreiben.

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