Dekanat Wetterau

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          Sprung in neues Leben

          Eine etwas andere Betrachtung zu Ostern in einer veränderten Welt von Dekan Volkhard Guth

          Der Absprung des Christus vom Kreuz mag der Sprung in neues Leben werden. Nicht länger am Ort des Leidens hängend, nicht länger auf den Tod festgenagelt, wagt er den Aufbruch in Neues. Darin liegt ein Moment von Befreiung.

          Sind sonst unsere Kreuzdarstellungen statisch, so liegt dieser Installation ein Moment von Bewegung und Lebendigkeit inne. Für mich hat diese Installation auch etwas Österliches; sie symbolisiert und ist selbst Zeichen einer Transformation. Es ist die Transformation vom Tod zum Leben. Das ist die Botschaft von Ostern.

          Die Beschäftigung mit der Frage, wie die Coronakrise uns und unsere Gesellschaft verändern – transformieren - wird, enthält eine österliche Perspektive.
          Denn die Pandemie rührt ja zutiefst an die Bedingungen von Leben – nicht nur in einer auf den Einzelnen bezogenen Betrachtung. Sie gefährdet Leben. Sie verweist aber auch ganz neu und anders auf den Wert des Lebens und des Zusammenlebens überhaupt.

          Bei österlicher Betrachtung scheint es, als gleite der „Corona-Christus“ an seinem Nase-Mundschutz-Gleitschirm weg vom Ort des Todes hinein ins Leben.
          Dieser Mundschutz-Gleitschirm verweist uns auf die neuerdings beklatschten Berufsgruppen, das Personal in Kliniken und Pflegehäusern.

          Bei der Frage, wie die Coronapandemie unser Leben transformiert, bleibe ich an Ihnen hängen.  Denn sie reagieren eher verhalten auf den Beifall und verlangen eine Politisierung ihrer Lage jenseits der freundlichen Gesten. Transformation, der Übergang in ein neues Leben, in eine veränderte Form des Zusammenlebens unserer Gesellschaft könnte für sie z.B. heißen, die unabgegoltenen Ansprüche des Pflegepersonals auf faire Löhne und sichere Arbeitsbedingungen nun im Anschluss an die Erfahrungen von Corona einzulösen. Denn die Ökonomie unseres Alltagslebens hatte sich in den zurückliegenden Jahrzehnten viel zu sehr auf die Kosten konzentriert, und viel zu wenig den Wert der Tätigkeiten dieser Berufsgruppen in den Blick genommen.

          Die Krise offenbart doch gerade, welche Güter und Dienstleistungen die Infrastruktur eines zivilisierten Lebens wirklich ausmachen. Die Versorgung mit Wasser, Strom und Gas, der Lebensmitteleinzelhandel, die Gesundheit und Pflege, Bankdienstleistungen, die Bildung und selbst die gegenwärtig schmerzlich vermissten Kulturangebote gehören dazu. Das alles sind Lebensbereiche, die zur Daseinsvorsorge und Daseinsfürsorge gehören. Sie alle leisten den entscheidenden funktionalen Beitrag zu einem guten Leben.
          Ihre Privatisierung, also die Betrachtung unter den Aspekten der Eigentümerschaft, die betriebswirtschaftliche Konzentration auf Pflichtaufgaben in der Politik und Outsourcingprozesse der letzten Jahrzehnte hatten die Fundamente unseres Alltags neu geordnet.  „Hatten“! – denn Transformation als Folge und Konsequenz aus der Coronakrise könnte hier eine neue Perspektive der Betrachtung und Behandlung bedeuten!

          Weil auch medizinische Versorgung mit den Bedingungen von Wertschöpfung zu tun, ist nicht der Markt für die Engpässe in der medizinischen Versorgung und in der Pflege verantwortlich, sondern die politischen Entscheidungen über die Abrechnung von Leistungen zwischen den staatlichen Versicherungen und den privaten und öffentlich-rechtlichen Trägern sind es. Kosteneffizienz hat zu Entlohnungsstrukturen und Arbeitsbedingungen im Gesundheits- und Pflegewesen geführt, wie wir es heute erleben. Doch die „Systemrelevanten“ arbeiten gerade unter diesen Bedingungen in der gegenwärtigen Krise für das Leben von Menschen!
          Ihnen springt der Christus zur Seite. Die Osterbotschaft kündet von der Verwandlung der alten Strukturen des Todes in die eines neuen Lebens.

          Über Jahre hinweg wurden eine nie gekannte Komplexität und Instabilität in all die funktionalen Bereiche unseres Zusammenlebens hineingebracht und Renditeerwartungen aus privatwirtschaftlichen Bereichen in die der allgemeinen Lebens- und Daseinsvorsorge übertragen, dass es gar nicht ausbleiben konnte, dass sich gerade die Berufsgruppen, die wir heute als „systemrelevant“ erkennen, mit niedrigen Löhnen und irregulären Arbeitsverhältnissen konfrontiert sahen. Beratungseinrichtungen im Bereich Familie und Ehe, oder Schuldnerberatung, Familienbildung, Familienzentren, frühkindliche Erziehung, – sie alle bewegen sich wie die Pflegeberufe in diesem Feld.

          Denken wir in diesen Ostertagen und zu Zeiten der Pandemie über Transformation des Lebens nach, und bleiben dabei nicht bloß bei der Betrachtung des je eigenen, individuellen Lebens, dann bedeutet das doch auch, den Wert dieser funktionalen Bereiche neu wahrzunehmen – und diesen künftig bei der Kalkulation der Kosten mit zu bedenken. Dann hieße das, dass wir ganz im Sinne von Transformation beginnen müssten, das Verhältnis von öffentlicher Hand und privaten Unternehmen neu zu verhandeln. Oder auf den Punkt gebracht: Kurzfristige Renditeinteressen und der funktionale Beitrag einer Fundamentalökonomie in den Bereichen von Daseinsvorsorge und Daseinsfürsorge vertragen sich nicht.

          Der Sprung des Corona-Christus von seinem angestammten Ort am Kreuz macht mir deutlich: auch wir sind frei, anders zu entscheiden!
          Auch in und nach der Krise gilt das Prinzip der Freiheit als Kern unseres Menschenbildes und unserer Vorstellung davon, welche Verantwortung aus dieser Freiheit erwächst. Luther definiert das so: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Beide Thesen über die Freiheit sind doch der Ruf an uns in die Verantwortung. Der Katholik Antoine de Saint-Exupéry hat das in seinem Roman „Nachtflug“ zusammengefasst: „Meine Kultur, ein Erbe Gottes, hat jeden für alle Menschen und alle Menschen für jeden einzelnen verantwortlich gemacht.“

          Die ungewöhnliche Kreuzinstallation begleitet uns in diesem Jahr von der Karwoche in die Osterzeit. So gilt es m.E., die Krise nicht einfach nur zu überstehen. Sondern aus ihr heraus das Leben neu zu bedenken und zu gestalten. Zu erkennen, wem wir uns verdanken und was „Leben die Fülle für alle“ (Johannesevangelium Kap.10, Vers 10) bedeutet. Das beträfe dann auch die (Grund-)Strukturen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens.

          Nie sahen sich die Deutschen so gut regiert wie in diesen Tagen. Politik und Parlamentarismus funktionieren. Tiefgreifende Entscheidungen müssen getroffen werden, oft unter Zeitdruck und hoher Unsicherheit. Deswegen werden sie überprüft und immer wieder auch zur Disposition gestellt. Und an diesen Erwägungen wird die Öffentlichkeit in nie gekannter Weise beteiligt.
          Transformation auch hier! Das, was wir gegenwärtig erleben, darf uns ebenfalls Zuversicht und Vertrauen in eine künftig veränderte Diskurskultur zwischen Politik und Bürgern geben. Die Öffentlichkeit wird informiert und mitgenommen. Und der Zivilgesellschaft wird zugleich eine große Verantwortung übertragen.
          Wird das wechselseitige Misstrauen von Politiker_innen und Bürger_innen der letzten Jahre weiter abgebaut, könnten wir beginnen, uns (wieder) gemeinsam über die Priorisierung der gesellschaftlichen Bedürfnisse zu verständigen. Über die Kosten und ihren Wert.

          Mit der Auferstehung des Christus an Ostern beginnt Gottes große Transformation vom Tod zum Leben. Der Corona-Christus dieser Installation kommt uns mit dieser Botschaft entgegen.

          Pfr. Volkhard Guth, Dekan des Evangelischen Dekanats Wetterau

           

           

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