„Einfach anfangen – einfach Mut haben“: Propsteitag bringt Kirche und Diakonie ins Gespräch

Patricia Luft

Wie können Kirche und Diakonie vor Ort gemeinsam wirken – besonders im ländlichen Raum? Welche Netzwerke bestehen bereits, und was braucht es, um neue Verbindungen zu stärken? Unter dem Motto „Regionale Netzwerke stärken – Kirche und Regionale Diakonie“ hatte die Propstei Oberhessen am Mittwoch zum Propsteitag nach Lich eingeladen – mit Impulsen, Austausch und viel Raum für Begegnung.

Den Auftakt bildete ein gemeinsamer Beginn in der Marienstiftskirche Lich. Dr. Anke Spory, Pröpstin für Oberhessen, eröffnete den Tag mit einem herzlichen Dank an alle Beteiligten – insbesondere an die gastgebende Kirchengemeinde Lich – und spannte in ihrer Begrüßung den thematischen Bogen des Tages: Was muss geschehen, damit wir heute Abend sagen können: „Das hat sich gelohnt?“

„Vielleicht, weil man Kolleg:innen getroffen hat. Vielleicht, weil es Impulse zur gemeinwesenorientierten Arbeit gab, die auf eine gute Spur bringen“, so Spory. Ziel des Tages sei es, sich als Kirche und Diakonie gegenseitig besser kennenzulernen – vor Ort, mit Gesichtern, als Menschen, die für Themen stehen. Als Symbol für dieses gemeinsame „Boden bereiten“ lagen Samenkugeln auf den Kirchenbänken: ein Zeichen für das, was wachsen soll.

Die Theologin leitet seit September 2023 die Propstei Oberhessen. Sie umfasst fünf Dekanate mit über 300 Kirchengemeinden in den Landkreisen Gießen, Wetterau und Vogelsberg. Die Kirche ist in dieser Region tief im sozialen und gemeinschaftlichen Leben verwurzelt – auf dem Land ebenso wie in der Stadt. Genau dort, wo Kirche und Diakonie oft am unmittelbarsten gebraucht werden.

Einen nachdenklich-bewegenden Impuls gab die Theologin, Publizistin und langjährige EKD-Sozialreferentin Cornelia Coenen-Marx (Agentur „Seele und Sorge“). Zwischen Kirchenbänken und Begegnungsorten, zwischen Betten und Tischen zeichnete sie ein facettenreiches Bild von Diakonie als gelebter Sorge – für andere und füreinander.

In einer bewegten Kennenlernrunde standen die Teilnehmenden im Kirchengang aufgereiht: Wie lange bist du schon auf deiner aktuellen Arbeitsstelle? Von „11 Tagen“ bis „36 Jahre“ war alles dabei. „Wofür brennst du? Was ist dein Thema?“ – daraus entwickelten sich Gespräche, Beziehungen, Ideen.

„Diakonie ist auch das, was zwischen uns geschieht“, so Coenen-Marx. Sie sprach über sorgende Gemeinschaften, neue Wohnformen, Nachbarschaftsnetzwerke – und über die Bedeutung von Begegnungsorten, die niedrigschwellig und offen für alle sind. „Vielfalt tut gut“, betonte sie, und: „Wir schaffen gute Orte, wenn wir uns auf das Wesentliche besinnen: Lebensmittel, Lebenssinn und Lebensbegleitung sein.“

Einen tiefen Einblick in ihre tägliche Arbeit gaben die Regionale Diakonie Gießen und die Regionale Diakonie Oberhessen: Teilhabezentren, Wohnungslosenhilfe, Straffälligenhilfe, Beratung für Schwangere, Arbeitsintegration, Schuldnerberatung, Paar- und Familienberatung, Erziehungsberatung, Jugendhilfe, Antidiskriminierungsberatung, Kindertagespflege – die Liste ist lang. Doch viele Menschen wissen zu wenig über diese Angebote oder sind so belastet, dass sie sich keine Hilfe mehr organisieren können. Kirche und Diakonie müssen deshalb enger zusammenrücken – und gemeinsam noch sichtbarer und ansprechbarer werden.

Zum Abschluss bedankte sich Pröpstin Dr. Anke Spory bei allen, die zum Gelingen beigetragen hatten: Pfarrer Lutz Neumeier (Kirchengemeinde Lich), Dr. Dorette Seibert (Dekanin im Dekanat Vogelsberg und Teil des Vorbereitungsteams), Sigrid Unglaub (Leiterin Regionale Diakonie Gießen) und Christoff Jung (Leiter Regionale Diakonie Oberhessen). Spory griff das Bild vom „Acker“ wieder auf: „Manches fällt auf felsigen Boden, manches geht nicht auf – aber manches bringt Frucht.“

Tobias Lauer, Geschäftsführer der Regionalen Diakonie Hessen-Nassau (RDHN), formulierte es zum Schluss so: „Sehen wir diesen Tag als Startschuss für gute Zusammenarbeit. Hören wir zu, öffnen wir unser Herz – und vor allem: Haben wir einfach Mut. Reden wir mit den Menschen. Fangen wir an.“

Die Regionale Diakonie Hessen-Nassau ist eine 2021 gegründete gemeinnützige GmbH unter dem Dach der EKHN. Sie vereint alle sozialen Dienste in 17 Regionen mit über 200 Standorten – von der Migrationsberatung über Wohnungslosenhilfe bis zu Schwangerenberatung und Tafeln. Rund 130.000 Menschen erhalten jährlich Hilfe, getragen von rund 1.500 Mitarbeitenden und 5.000 Ehrenamtlichen. Lauer betonte: „Unsere Arbeit ist das soziale Rückgrat – wir verstehen uns als Bindeglied für eine funktionierende Gesellschaft. Der Kern bleibt die gelebte Nächstenliebe.“

Diese enge Verbindung zwischen Kirche und Diakonie wurde beim Propsteitag spürbar – und ist Ausdruck der neuen Struktur: Seit 2023 ist die RDHN organisatorisch Teil der EKHN. Damit soll nicht nur die Zusammenarbeit effizienter werden, sondern auch das soziale Engagement der Kirche als integraler Bestandteil kirchlichen Lebens sichtbarer werden.

Der Propsteitag endete mit einer gemeinsamen Andacht in der Marienstiftskirche, musikalisch begleitet von den Kirchenmusikerinnen Daniela Werner (Gießener Land), Christine Geitl (Vogelsberg) und Propsteikantorin Marina Sagorski (Oberhessen). Der Tag markiert den Startpunkt – die Gespräche und Impulse werden nun aktiv weiterverfolgt. Die Samenkugeln stehen symbolisch für das, was nun wachsen kann. Als Kirche und Diakonie sollen die begonnenen Gespräche fortgesetzt, neue Kooperationen angestoßen und gemeinsam konkrete Wege für die Region entwickelt werden. Denn gerade angesichts schrumpfender Ressourcen braucht es solche neuen Formen der Zusammenarbeit – mutig, lokal verankert und gemeinsam getragen.

Text: Patricia Luft