Abschied aus der Krankenhausseelsorge: Pfarrerin Anette Bill geht in den Ruhestand

Hortien

„Ihre“ Gemeinde war für Anette Bill mal eine Schulgemeinde, mal eine Krankenhausgemeinde – doch immer war es ihr wichtig, Menschen auf ihrem Lebensweg zu begleiten. Ihr gesamtes Berufsleben widmete die Pfarrerin der seelsorgerischen Arbeit im säkularen Bereich, zuletzt als Krankenhausseelsorgerin im Hochwaldkrankenhaus in Bad Nauheim. Nun geht sie in den Ruhestand.

Eine Pfarrerin ohne Kirchturm – so hat es Pröpstin Dr. Anke Spory bei der Verabschiedung von Pfarrerin Anette Bill ausgedrückt. Dafür nah dran an Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen, oft ohne christliche Prägung. „Ich war immer für alle Menschen ansprechbar, egal ob sie einer Kirche angehörten oder nicht“, erzählt die Seelsorgerin.

Nach dem Theologiestudium und dem Vikariat in Frankfurt führte ihr Weg zunächst in die Schulseelsorge, damals noch an der Berufsschule in Friedberg, später in Bad Nauheim. 16 Jahre lange begleitet Anette Bill die Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht, bei Ausflügen und Projekten und in zwischenmenschlichen Situationen. Später wechselte sie als Pfarrerin für Arbeit und Soziales in die Jugendwerkstatt in Gießen. Dort ging es vor allem darum, „Menschen, die keinen guten Start ins Leben hatten, so früh wie möglich zu unterstützen“, sagt sie. 2020, mitten im Lockdown, kam die Pfarrerin dann in die Klinikseelsorge am Hochwaldkrankenhaus im Evangelischen Dekanat Wetterau. Zum 1. März geht sie in den Ruhestand.

Kraft des Gesprächs erlebt

Die Arbeit im Krankenhaus hat viele Facetten: Patienten, die Heilung und Erleichterung erfahren. Eltern, die sich über neues Leben freuen. Angehörige, die um ihre Lieben trauern, wo die Medizin an ihre Grenzen stößt. Menschen, die sich mit ihrer eigenen Sterblichkeit auseinandersetzen. „Ich wusste nie, welche Geschichte mich hinter der Tür erwartet, die ich öffne“, erklärt es die Seelsorgerin. „Ich habe viele beeindruckende Menschen kennengelernt und oft die Kraft des Gesprächs erlebt.“ Doch nicht immer lässt sich mit Worten beschreiben, was im Krankenhaus passiert. „Manchmal haben wir auch nur zusammen geschwiegen. Ich war da, um Schmerz und Tränen gemeinsam auszuhalten.“ Doch egal ob Trauer oder Freude geteilt wurden: „In vielen Situationen hatte ich das Gefühl, dass beide Seiten bereichert aus den Gesprächen gegangen sind.“

Dabei habe sie immer die Frage geleitet: Was möchtest du, dass ich für dich tue? „Es war immer wieder schön zu erleben, wie viel Persönliches die Menschen mir anvertraut haben und wie schnell die Gespräche tiefgründig wurden.“ Oft, aber nicht immer ging es dabei auch um den Glauben. „Es hat mich fasziniert und beeindruckt, welche innere Stärke die Patienten entwickelt haben, mit einer schweren Diagnose umzugehen, und wie sie nie aufgegeben haben.“

Erfahrungen als Supervisorin und Coach

Anette Bill ist zudem freiberuflich als psychologische Beraterin, Supervisorin und Coach tätig. Die entsprechenden Zusatzausbildungen und Erfahrungen kamen ihr in ihrer Arbeit als Pfarrerin zugute. Ebenso wie Einsätze beim Frauennotruf (als Spezialvikariat) und in der Telefonseelsorge. Zuletzt begleitete sie auch die Lucia-Gottesdienste der Frauenselbsthilfe Krebs in Bad Nauheim.

Auch an frühere Stationen und Projekte denkt sie gerne zurück: „Wir haben damals das Projekt ‚Schule mit Courage‘ gegründet, das es heute noch gibt“, erzählt sie. Besonders waren auch Gottesdienste im Second-Hand-Kaufhaus der Jugendwerkstatt oder ein „Metal-Christmas“-Gottesdienst in der Metallwerkstatt. „Mein Beruf hat mich über weite Strecken erfüllt und oft beglückt“, lautet ihr Fazit.

Hoffnung in schwierigen Zeiten

In der aktuellen Situation ist Bill davon bewegt, dass viele Menschen im Krankenhaus – aber nicht nur dort – Angst haben vor den aktuellen politischen Entwicklungen.

Der Pfarrerin ist es wichtig, sich nicht von der Angst lähmen lassen. „Die Zeit ist reif, dass wir uns zusammentun mit allen gesellschaftlichen Kräften, die sich für das Gemeinwohl, die Menschenrechte, für Freiheit und Gleichheit, für Demokratie und für Friedensprozesse einsetzen. Nächstenliebe braucht Klarheit. Rechtsextremismus und christlicher Glaube sind unvereinbar, denn Gott hat alle Menschen gleich geschaffen.“ Die altbekannten christlichen Überzeugungen seien wahrer denn je. Jeder und jede könne, egal ob mit der Weitsicht des Alters oder der Schaffenskraft der Jugend, am eigenen Ort Gutes bewirken.

Vertrauen in Zukunft

Dabei vertraut sie in die Zukunft und in die junge Generation. „Sie sind kreativ und klug, wollen nicht alles so weiter machen. Sie bringen uns bei, dass wir einfacher leben können. Es ist nicht alles einfach, aber sie werden Lösungen finden für die Zukunft.“

Anette Bill wünscht sich, dass wir hoffnungsfroh bleiben. Dabei vertraue sie darauf, dass auch in Zukunft immer wieder unvorhersehbar Gutes geschieht, dass Gott Wege findet, das zu vollenden, was wir nicht allein schaffen.

So möchte sie auch in der nächsten Lebensphase aktiv bleiben und gleichzeitig freut sie sich auf mehr Zeit für Familie und Freunde, für Kunst und Kultur. Außerdem möchte sie noch viele Touren mit dem E-Bike durch Europa machen.