Wer den Bauverlauf seit April letzten Jahres miterlebt hat, war von Woche zu Woche mehr von dem Kunstwerk Orgel fasziniert. Von den großen, kleinen, dicken, schlanken Pfeifen, darunter rund 1000 restaurierte aus den Vorgängerorgeln, vom Geruch des abgelagerten Fichtenholzes der Windkanäle und Schwellwerk, von den hauchdünnen Leisten, die die Verbindung vom Spieltisch zu den Pfeifen bilden, und von der filigranen Mechanik. Das ganze Zusammenspiel aller Komponenten erscheint dem Orgellaien als ein höchst komplexes Wunderwerk.
Eigentlich hätte das Projekt eine Zwei-Stufen-Lösung werden sollen. Denn 2017, als der Kirchenvorstand der evangelischen Kernstadtgemeinde in Bad Nauheim den Beschluss für eine neue Orgel gefasst hatte, war die finanzielle Situation nicht absehbar. Allerdings zeigte sich bald ein großes bürgerschaftliches Engagement für Kirche und Orgelmusik, das den Spendenstand kontinuierlich nach oben trieb. 2020 entschied sich der Kirchenvorstand dafür, eine Orgel aus einem Guss zu bauen. Investitionssumme ohne notwendige Baunebenkosten: 998.000 Euro. Der von Anfang an ehrenamtlich arbeitende Orgelbaukreis brachte seine eigenen Kompetenzen ein, um durch Information, Aktivitäten, Benefizkonzerte, Orgelprodukte und persönliche Kontakte diese Summe zu erreichen. Jeder Cent kam dem Projekt zugute.
Im April 2024 zogen die Orgelbauer der weltweit renommierten Bonner Firma Klais, die den Zuschlag aus der europaweiten Ausschreibung bekommen hatte, in die Dankeskirche ein. In zahlreichen Baustellen- und Orgelführungen gaben sie den Interessierten Einblick in das Kunstwerk Orgel und in das Handwerk des Orgelbauers. Organist Frank Scheffler stellte Bad Nauheimer Bezüge her und erläuterte Details zu Klang und Spielmöglichkeiten.
Die neue Orgel erinnert mit ihrem glänzenden Prospekt an eine sprudelnde Klangquelle. Sie gibt in der ausgezeichneten Akustik der Dankeskirche den typischen „Bad Nauheimer Klang“ zwischen Barock und Romantik wieder. Moderne Orgelbautechnik ermöglicht auf drei Manualen, Pedal und Fernwerk bis zu 90 Registriervarianten. Das ermöglicht dem Organisten nicht nur bewegende liturgische Momente zu erzielen, sondern auch nahezu alle Stile der Orgelliteratur sehr gut wiederzugeben. Die Orgelkonzerte der Festwochen belegen dies.
Eine ganz besondere Freude wartet auf die rund 300 Pfeifenpatinnen und Paten, wenn sie zum ersten Mal ihren speziellen Patenton erklingen hören, wobei man nicht jeden einzeln heraushören wird. Sie und die Bad Nauheimer Bevölkerung sowie vieler Menschen darüber hinaus brachten durch Spenden 65 Prozent der benötigten Investition von rund einer Million Euro auf. Der Vorsitzende des Orgelbaukreises, Dr. Volker Gräfe, freut sich: „Es fehlt nicht mehr viel, dann ist die Orgel abbezahlt. Das ist sicher einmalig ohne jeden Mäzen. Dafür gebührt allen, die dazu beigetragen haben, ein herzliches Dankeschön!“
Zwei Wochen Fest der Orgel
Das Festwochenprogramm geht vom Ostersonntag bis zum 4. Mai und bietet ‚Orgel satt’. Renommierte Organisten werden die Klangvielfalt vom Barock bis zur Moderne und Stilrichtungen vom Choral über Jazz bis zu Improvisationen erlebbar machen. Das Einweihungskonzert am Ostermontag, 21. April, 19 Uhr, spielt Dankeskirchenorganist Frank Scheffler selbst. Er stellt unter dem Titel „Die vier Elemente“ das ganze Klangspektrum von Bach bis zu modernen Improvisationen vor.
Am Mittwoch, 23. April, widmet sich Prof. Stefan Viegelahn, Frankfurt, mit „Lichtgestalten und finsteren Gesellen“ besonders der modernen Orgelliteratur. Ein spezielles Programm mit Werken unter anderem von Liszt und Ravel kann man am Freitag, 25. April, von dem jungen Titularorganisten von Saint-Eustache in Paris, Thomas Ospital, hören. Am Samstag, 26. April 18 Uhr, lädt der Rotary-Club Bad Nauheim-Friedberg zu seinem Benefizkonzert (mit Eintritt) mit der klassischen Band SPARK ein. Zu den musikalischen Heroen gesellt sich eine Orgelüberraschung.
Freude des Jazz spitzen die Ohren bei Barbara Dennerlein, der Großen Dame der Hammondorgel, am Freitag, 2. Mai, wenn sie auf der Kirchenorgel spielt. „Jazz and more“ ist mit Sicherheit ein Highlight der Festwochen. Eine spezielle Audienz bei der „Königin der Instrumente“ gewähren „Orgelbauer Fröhlich“ und Frank Scheffler am Samstag, 3. Mai, 16 Uhr Kindern ab 6 Jahren und Familien. Zum Abschluss kommt am Sonntag, 4. Mai, Prof. Carsten Wiebusch, Frankfurt, zu einer romantischen Orgelreise „An Moldau, Seine und Themse“.
Beginn der Orgelkonzerte ist jeweils 19 Uhr. Als Dank wird für die Veranstaltungen (außer Rotary-Benefizkonzert) in den Festwochen kein Eintritt erhoben. Eine Spende zur Deckung der Kosten ist jedoch gerne gesehen.
Das Erlebnis Orgel wird danach in größeren Abständen das ganze Jahr auf verschiedenste Weise und auch mit Orgelführungen fortgesetzt.