Als Julia Held 2016 in der Gehörlosenseelsorge begann, war sie zunächst für die Dekanate Wetterau, Hochtaunus und Büdinger Land zuständig. Später kamen die Gemeinden in Gießen, dem Gießener Umland und dem Vogelsberg hinzu. "Für eine so große Region zuständig zu sein, war herausfordernd", sagt Julia Held. „Und das alles mit einer halben Stelle. Oft hätte ich gerne mehr gegeben, aber das war nicht möglich.“ Hinzu kam, dass der Start in Gießen in die Zeit des Lockdowns fiel.
Durch Corona mussten auch die beliebten regelmäßigen Seniorennachmittage pausieren, die bis zur Pandemie immer donnerstags im Café des Erasmus-Alberus-Hauses in Friedberg stattfanden. "Danach fehlte uns ein neuer Raum für diese Treffen. Es gibt wenige Orte wo sich Gehörlose treffen können."
Regelmäßige Gottesdienste
In der Regel fand in jedem Dekanat einmal im Monat ein Gottesdienst statt. In Friedberg sogar vierzehntägig, da sich Pfarrerin Julia Held dort mit der katholischen Kollegin abwechselte.
Die Treffen und Gottesdienste seien von einer hohen Verbindlichkeit geprägt: "Die Teilnehmenden nehmen oft weite Wege auf sich, um dabei zu sein", sagt Julia Held. "Sie kommen auch zu den Gottesdiensten, wenn diese nicht in ihrer Heimatregion stattfinden." Oft seien sie rund 30 Personen im Gottesdienst gewesen, „an einem ganz normalen Sonntag, ohne besonders Event. Und darunter sind auch jüngere Gehörlose.“
Die Gehörlosengemeinden werden durch sogenannte Gemeindesprecher repräsentiert, die eine ähnliche Funktion wie ein Kirchenvorstand übernehmen. In Friedberg gibt es vier Gemeindesprecher, in Gießen einen.
Ihre Gottesdienste gestaltet Julia Held rund um ein Thema oder eine Person aus der Bibel. Die Gehörlosen sind immer aktiv in die Liturgie eingebunden. Auch Psalmen, Gebete und Fürbitten werden in Gebärdensprache gesprochen. Die Kollekte geht an eine Gehörlosenschule in Tansania. Mit Gesang können die Gehörlosen wenig anfangen. Allerdings gibt es spezielle Gebärdenlieder, an denen sich die Gottesdienstgemeinde immer sehr erfreut habe. "Das Vorbereiten der Gottesdienste war anspruchsvoll und hat auch immer etwas mehr Zeit gekostet, aber es hat mir sehr viel Spaß gemacht."
Ökumenische Ausflüge
Einmal im Jahr organisierte Julia Held gemeinsam mit der katholischen Gehörlosenseelsorgerin einen ökumenischen Ausflug. Im vergangenen Jahr führte er sie nach Wiesbaden an den hessischen Landtag. Der Abgeordneten Dirk Bamberger, der gehörlose Eltern hat, organisierte Dolmetscher für die Führung und gebärdete dann selbst mit den Gehörlosen über seine Aufgabe. "Das war wirklich ein Highlight für alle", sagt Julia Held. Eines ihrer persönlichen Highlights war darüber hinaus ein Krippenspiel mit erwachsenen Gemeindemitgliedern. "Für viele war es ein großer Schritt, dann im Weihnachtsgottesdienst vor Zuschauern aufzutreten."
Die Gebärdensprache spricht Julia Held inzwischen (fast) fließend. "Die Gebärdensprache hat ihre eigene Grammatik. Mimik und Gestik sind zentrale Ausdrucksmittel. Und ich musste bis zuletzt immer noch Vokabeln lernen“, erzählt sie.
Vielfältige Aufgaben
Neben den Gottesdiensten hat die Gehörlosenseelsorgerin in den vergangenen Jahren viele weitere Aufgaben übernommen: "Ich habe Gehörlose in den Altenheimen besucht, Religionsunterricht an der Johannes-Gevatter-Schule für Gehörlose in Friedberg gegeben, beerdigt, getauft und konfirmiert." Sie sei auch mal zur Schlichtung bei Nachbarschaftsstreitigkeiten gebeten worden. Es habe zahlreiche Anfragen von Angehörigen und Gemeinden gegeben. Außerdem habe sie Pfarrkollegen mit gehörlosen Konfirmandinnen und Konfirmanden beraten.
„Es hat mir viel Freude gemacht, die Gehörlosen auf ihren Wegen zu begleiten und zu sehen, wie die Gemeinden immer selbstständiger werden. Gerade auch nach der Auflösung des Gehörlosenvereins in Gießen, der bis dahin Vieles organisiert hat. Es haben sich für alle Aufgaben neue Zuständige gefunden.“
Ihr persönliches Fazit: „Die Gehörlosenseelsorge erfordert viel Kompetenz und war manches Mal herausfordernd und anstrengend. Aber es war eine schöne und gute Erfahrung, die mich sehr geprägt hat.“
Auch wenn sie sich nun ganz der Gefängnisseelsorge widmet, ist Pfarrerin Julia Held die Zukunft der Gehörlosengemeinden wichtig. „Die Gemeinde hängt nicht an der Pfarrerin. Die Gehörlosen haben bewiesen, dass sie selbstständig sind. Ich würde mir wünschen, dass sie in Zukunft selbstbewusst für ihre Bedürfnisse einstehen.“
Pfarrerin Julia Held wird am 16. Februar um 14 Uhr in der Evangelischen Kirche Kleinlinden aus ihrem Dienst in der Gehörlosenseelsorge verabschiedet.