Sonntagswort: Gegen die Gewöhnung

CK

Pfarrerin Ulrike Mey, Evangelische Christuskirchengemeinde Bad Vilbel, schreibt einen Impuls anlässlich des Jahrestags des Angriffs der Hamas.

Vor über einem Jahr hat die Hamas bei einem entsetzlichen Terrorangriff tausende von Menschen in Israel ermordet. Seither sind im Gazastreifen, dem Westjordanland, dem Libanon und Israel zehntausende Menschen getötet und weit mehr verletzt worden. Millionen von Menschen sind auf der Flucht und noch mehr leben täglich mit der Angst vor dem nächsten Angriff. Ein Ende des Grauens ist nicht in Sicht.

Im Februar vor zwei Jahren hat Russland die Ukraine angegriffen. Es gibt keine zuverlässigen Zahlen zu den Getöteten und auch hier ist kein Ende in Sicht.

Ich kann das alles in der Zeitung lesen. Ich kann die Zahlen von getöteten, verletzten, verschleppten und geflohenen Menschen im Internet nachschauen. Im Fernsehen höre ich Berichte und sehe Bilder von Flüchtlingslagern, zerbombten Häusern und verzweifelten Menschen.  Seit einem Jahr kommen sie aus dem Nahem Osten, seit über 2 ½ Jahren aus der Ukraine. Andere Kriegsgebiete auf der Welt schaffen es seltener in die Nachrichten, existieren aber dennoch.

Mir wird all das bisweilen zu viel. Ich fühle mich hilflos und schaue im Fernsehen weg oder blättere die Zeitung um. Ich kann nicht das Leid der ganzen Welt ertragen.

Es ist auch gar nicht so einfach darüber zu reden (oder zu schreiben), weil die Konflikte so ineinander verflochten sind und weit über die Grenzen der jeweiligen Regionen Hass verbreiten. Wenn ich eine Position beziehe, muss ich immer alles gut abwägen, was nicht immer gelingt. Mit wem bin ich solidarisch und gegen wen stelle ich mich, manchmal unbewusst? Besser gar nichts sagen? Wie die drei Affen, die nichts sehen, nichts hören und nichts sagen?

So will ich aber nicht handeln. Ich will der Gleichgültigkeit mein Mitgefühl entgegensetzen, der Gewöhnung meine Fassungslosigkeit und mit anderen im Gespräch bleiben.

Der Gott, an den ich glaube, steht auf der Seite der Opfer, egal welcher Nationalität sie sind. Daran will ich mich erinnern und ich will mich nicht dem Leid anderer verschließen. Mir hilft dabei, Gott im Gebet meine Sprach- und Fassungslosigkeit sagen. Mehr geht manchmal nicht. Weniger will ich nicht.