Langjährige Erfahrung in der Seelsorge mit schwerstkranken und sterbenden Menschen haben mich geprägt. Ich bin dankbarer geworden und zutiefst demütig dem Leben gegenüber.
Und dann wurde mein langjähriger Freund todkrank. Ist er noch immer. Leider wohnt er weit weg. Selten sehe ich ihn. Tiefgehende Gespräche über Gott und die Welt haben wir jahrzehntelang geführt. Geht nicht mehr. Will er nicht. Habe er ein ganzes Pfarrerleben lang gemacht. Jetzt ist er reduziert auf das Wesentliche, auf seine unmittelbaren Bedürfnisse. Klar im Kopf, wie selten Menschen in seiner Situation, hat er auch die Stärke, sie unumwunden zu äußern. Seine Frau, seine Kinder, mich, andere um Hilfe zu bitten. Und danach gefragt, was er sich wünscht, antwortet er: „neue Räume erschließen“. Ups. Ich musste schlucken als ich das hörte. Bekommt er nicht eher den Rückzug aufgezwungen?
Gespräche über Blumen etwa wünscht er sich und er will neue Räume erschließen. Könnte es sein, dass er verstehen will, wie sterben geht? Dass er dazulernen will? Oder dass er es sich wenigstens jetzt so schön wie möglich machen will? Mich begleitet sein Wunsch nun schon seit sechs Wochen. Und ist es nicht das, was wir, mehr oder weniger Gesunden, uns auch wünschen? Aufbrechen zu neuen Ufern, ein schönes Leben haben, gute Gedanken, die Körper und Geist beglücken. Eben ein zufriedenes Leben.
Danke, mein Freund, ich will deinen und vielleicht ja den Wunsch vieler gerne respektieren. Auf zu neuen Räumen. Und ich glaube zutiefst, irgendwann wirst du dich wiederfinden in einem wunderbaren Raum ohne Schmerzen und Not. Du wirst sein wie die Träumenden und dein Mund wird voll Lachens sein (vgl. Psalm 126,1f).