Sonntagswort: Wenn Schicksale hinter Zahlen verschwinden

Hortien

Pfarrer Johannes Misterek, Geistliches Zentrum Nieder-Weisel, schreibt einen Impuls zu anstehenden Bundestagswahl.

Am Abend der Amtseinführung von Donald Trump kursierte in den Sozialen Medien ein Satz, der mich aufmerken ließ. „Führer und Amt, die sich selbst vergotten, spotten Gott.“ Neben diesem Zitat war ein Konterfei des frisch vereidigten US-Präsidenten zu sehen.

Ich forschte nach der Herkunft dieses Satzes – und erschrak. Er stammt aus einem Vortrag, den der bekannte Widerstandskämpfer und Theologe Dietrich Bonhoeffer am 1. Februar 1933, also einen Tag (!) nachdem Adolf Hitler Reichskanzler wurde, im Rundfunk hielt. Viel früher als viele seiner Zeitgenossen hat Bonhoeffer die Absichten des Hitler-Regimes und sein totalitäres Führerprinzip durchschaut. Ihm war klar, dass Rassismus, Nationalismus, Militarismus und Antisemitismus mit dem christlichen Glauben und dem 1. Gebot unvereinbar sind. Für Gott steht der Mensch im Mittelpunkt. Jeder Mensch. Gottes Solidarität gilt vor allem den Benachteiligten und Ausgeschlossenen. Für sie ergreift Gott Partei. Wo Menschen andere Menschen zu einem Problem machen, wo ihre Gesichter und Schicksale hinter Zahlen verschwinden, da weht nicht Gottes Geist. Da vergottet sich der Mensch am Ende selbst.  

Angesichts der zunehmenden Macht autokratischer Führer und des schwindenden Zuspruchs für demokratische Prinzipien sind Bonhoeffers Worte heute relevanter denn je. Bundespräsident Steinmeier warnte jüngst: „Es gibt keine Rechtfertigung für eine neue Faszination des Autoritären, die gerade um sich greift in unserem Land. Vertrauen wir der Demokratie! Und stärken wir sie durch unser Engagement. Jede und jeder Einzelne trägt Verantwortung dafür.“

Übrigens wurde die Übertragung des Rundfunkvortrages von Bonhoeffer mitten in der Rede abgebrochen – einen Tag nachdem Adolf Hitler Reichskanzler war. Seien wir nicht naiv. Wehren wir den Anfängen. Entsprechen wir unserer Verantwortung. Eine Zivilgesellschaft liest ihre Stärke ab an ihrem Umgang mit den Schwächsten.