Sonntagswort: „Wir möchten Menschen sein, die zuhören“

veröffentlicht 12.10.2025, Evangelisches Dekanat Wetterau

Johannes Misterek, Pfarrer am Geistlichen Zentrum Nieder-Weisel schreibt einen Impuls zum 20. Todestag von Frère Roger, Gründer der Taizé-Gemeinschaft.

Zuhören bedeutet mehr als die bloße Wahrnehmung des Gegenübers oder eine Aufnahme von Informationen. Es hat stets etwas mit der Bereitschaft zu tun, sich an die Stelle des anderen zu stellen und in seine Lebenswirklichkeit einzufühlen. Zuhören schafft eine Atmosphäre, in welcher der andere sich in seinem tiefsten Wesen aussprechen und darin selbst erkennen kann. Ein solches Zuhören ermöglicht ein tieferes Verstehen. Und wer sich verstanden weiß, der erfährt sich angenommen – als Mensch gesehen und bejaht. Das vermag einem unruhigen Herz Frieden zu schenken.   

„Wir möchten Menschen sein, die zuhören, und keine Meister des geistlichen Lebens.“ Gebetsmühlenartig wiederholte Frère Roger, Gründer der Taizé-Gemeinschaft, diesen Satz. Mit seiner charismatischen Ausstrahlung war er eine der großen religiösen Persönlichkeiten des vergangenen Jahrhunderts. Für ihn war die Kluft zwischen Arm und Reich ein nicht hinzunehmender Skandal. Im südburgundische Taizé entwickelte der reformierte Theologe, Mystiker und Friedenspreisträger ein neues Modell des Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Konfessionen. Seit Jahrzehnten pilgern jährlich Hunderttausende junge Menschen aus ganz Europa dorthin. Die eingängigen meditativen Gesänge haben Taizé weltweit bekannt gemacht. In diesem Jahr jährte sich der 20. Todestag des gebürtigen Schweizers. 

Was mich an ihm besonders fasziniert, das ist diese Bereitschaft zum Zuhören. Er war überzeugt, dass es, um in den inneren Frieden des Herzens zu gelangen, Menschen brauche, die ganz Ohr seien, die sich in der Spiritualität des Zuhörens üben. Unsere gegenwärtige Zeit und Weltlage braucht die selbstlose Aufmerksamkeit für die Worte, die der andere spricht und auch für das, was zwischen den Zeilen ungesagt bleibt. 

Noch einmal Frère Roger: „Den Menschen zuhören, damit sie ihre Grenzen und Verletzungen aussprechen können, aber auch um ihre Gaben zu entdecken, und vor allem, damit sie erahnen, dass es ein Leben in Gemeinschaft mit Gott gibt, mit Christus und dem Heiligen Geist.“