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          Es geht: fair wirtschaften - anders leben

          RachAuch nach dem Vortrag wurde lebhaft mit Wolfgang Kessler diskutiert

          Warum die Basler die höchsten Strompreise zahlen und trotzdem zufrieden sind, wie ein Mitarbeiter-buy-out Arbeitspläte rettet und eine Bank Gewinne macht ohne Spekulationsgeschäfte - kurz: wie Kapitalismus ökologisch und sozialverträglich wird, war das Thema von Wolfgang Kessler am vergangenen Donnerstag in Bad Nauheim.

          BAD NAUHEIM: Die Baseler haben die höchsten Strompreise Europas, denn sie zahlen seit 14 Jahren eine 25-prozentige CO2-Abgabe. Der Staat sackt das Geld nicht ein, sondern zahlt es wieder aus: Jeder Baseler, vom Baby bis zum Greis, bekam 2019 150 Euro zurück, ganz unabhängig vom Stromverbrauch. Für eine 4-köpfige Familie immerhin 600 Euro. Unternehmen erhalten den Betrag pro Arbeitsplatz. Stromsparen wird dadurch attraktiv: Basel ist Europas einzige Industriemetropole mit sinkendem Stromverbrauch.

          So kann Wirtschaft gehen, die sozial gerecht und ökologisch verträglich ist, sagt Wolfgang Kessler.
          In seinem Vortrag zum Thema „fair wirtschaften – anders leben“ berichtete der promovierte Wirtschaftswissenschaftler und Journalist über Alternativen zu einem auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Kapitalismus. „Die Kunst, den Kapitalismus zu verändern“ heißt sein neuestes Buch. Eingeladen in die Bad Nauheimer Wilhelmskirche hatte der Verein „ Bad Nauheim fair-wandeln“ gemeinsam mit dem Evangelischen Dekanat Wetterau und der Zeitschrift Publik Forum, deren Chefredakteur Kessler bis 2019 war.

          Was entfesselte Weltwirtschaft bedeutet, machte Kessler an zwei Zahlen deutlich: am „Black Friday“-Wochenende, in diesem Jahr ab 29. November, wurden 2018 Deutschland 2,4 Milliarden Euro umgesetzt, 2019 rechne man mit 3,3 Milliarden. Weltweit werden pro Millisekunde ca. 100.000 Wertpapiere gehandelt. Finanzinvestoren kaufen Pflegeheime, Krankenhäuser, Ackerland. Auch das Pflegeheim in Kesslers Wohnort Rosbach gehört einem Unternehmen in San Francisco. Zehn Prozent der reichsten Haushalte in Deutschland besitzen rund 70 Prozent des privaten Vermögens – solche Zahlen kannte man in den 80-er Jahren nur aus Bananenrepubliken, so Kessler.

          Der Ruf nach neuen Wirtschaftsformen wird lauter. Kessler nannte neben dem Baseler Strommodell vier weitere Beispiele. Die Firma Flachglas Wernburg produziert u. a. die Fenster der ICE-Züge. Seit 20 Jahren gehört sie den Mitarbeitenden. So wurde ein Verkauf verhindert, bei dem 600 der 680 Arbeitsplätze entfallen wären.  Heute steht in der Satzung „In diesem Unternehmen hat Arbeit Vorrang vor Kapital.“ Alle Arbeitsplätze wurden erhalten.  Die GLS-Bank, deren Namen sich von „Geben, Leihen, Schenken“ herleitet, ist unbeschadet durch die Finanzkrise gekommen, denn sie verkauft keine Spekulationsprodukte. Außerdem vergibt sie keine Kredite für Projekte in den Bereichen Rüstung, Umweltzerstörung, Gentechnik. Dafür dürfen Kunden mitentscheiden, ob die Bank ihr Geld beispielsweise eher in Schulen oder erneuerbare Energien investieren soll. In fünf Jahren hat sich die Zahl der Kunden fast verdreifacht. Die Waag-Stiftung hat das erste „fairphone“ auf den Markt gebracht: ein Smartphone, dessen Rohstoffe unter Wahrung von Sozial- und Umweltstandards abgebaut werden und dessen Einzelteile sowohl ausgetauscht wie recycelt werden können. In Namibia wurde mit Spendengeldern der evangelischen Kirche für drei Jahre den Bewohnern eines Dorfes ein bedingungsloses Grundeinkommen von 10 Dollar pro Monat finanziert. Seither nahmen die geschäftlichen Aktivitäten zu, jedes Kind besucht nun eine Schule (vorher waren es nur die Hälfte), die Frauen wurden selbstbewusster. Ähnliche Effekte beobachtete man in Kenia, wo 20.000 Menschen über zehn Jahre ein Grundeinkommenvon 22 Dollar pro Monat  erhalten.

          Den fünf Beispielen ließ Kessler fünf Forderungen für ein alternatives Wirtschaften folgen:
          Reichtum müsse gerechter verteilt sein. Spekulation müsse besteuert werden, Steueroasen sollten ausgetrocknet und eine Mindeststeuer von 15-20 Prozent für Großunternehmen eingeführt werden.
          In gesellschaftlich lebenswichtigen Bereichen wie Gesundheit und Pflege, Wasser, Strom und Verkehr plädiert Kessler für eine „Renaissance des Staates“ – anders gesagt: eine Abkehr von Privatisierung und Renditeorientierung. Wünschenswert sei das auch im Bereich der Digitalisierung. Warum nicht eine öffentlich-rechtliche Suchmaschine!
          Im Energiebereich brauche es eine sozial gerechte Ökoabgabe nach Baseler Modell. 
          Im Welthandel müssten ökologische Aspekte eine größere Rolle spielen. Statt Freihandel, der aktuell die Anbieter mit den schlechtesten Arbeitsbedingungen bevorzuge, würden Fair-Trade-Regeln nur fair gehandelte Waren durch Zollfreiheit privilegieren.
          Und Entwicklungshilfe müsse endlich in Arme investieren statt in internationale Konzerne.

          Kessler rief auf, den Frust über die Politik zu überwinden, sich einzumischen und das eigene Konsumverhalten zu ändern. Gelegenheit dazu gab es gleich vor Ort mit fair gehandelten Waren aus dem Bad Nauheimer Weltladen. Die anschließende Diskussion mit den etwa 70 Zuhörern war lebhaft und Kessler stellte sich auch kritischen Fragen. „So lange wir so engagiert diskutieren, sind wir am Schluss, aber keinesfalls am Ende.“

           

           

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